Auf die Wiſſenſchaftliche Bei Verantwortlicher Redaeteur: Wiſſenſchaftliche Beilage „Mé 1. lage der Leipziger 3eitung, Sonntags und Donnerſtags erſcheinend, kann, getrennt von der Zeitung, mit 12 Mgr. 5 Pf. pr. Vierteljahr beſonders abon urt werden. Leipziger Zeitung. Dr. A. Kaiſer in Leipzig. – Ausgegeben durch die König liche Expedition der Leipziger Beitung in Leipzig, Poſt ſtraße Nr. 3. Donnerſtag, den 4. Januar. 1872. Inhalt: Freiherr von Gablenz. – Eine Weihnachtseiſenbahnfahrt mit Hinderniſſen. Freiherr von Gablenz. Unter den man nichfachen „untoward events“, welche der Spätherbſt des verwichenen Jahres dem „Lande der Unwahr ſcheinlichkeiten“, wie der abgetretene Reichskanzler unlängſt ſein Adoptivvaterland bezeichnet hat, brachte, iſt vom öſterreichiſchen Standpunkte das vielleicht inhaltsſchwerſte Ereigniß das Aus ſcheiden des Freiherrn v. Gablenz aus der Armee geweſen. Dieſer General gehörte nicht blos zu den hervorragendſten mili tairiſchen Capacitäten Oeſterreichs, ſondern er war auch neben dem Erzherzog Albrecht und dem früh verewigten Admiral Tegetthoff der einzige öſterreichiſche Heerführer, der Proben wirklicher Feld herrneigenſchaften abgelegt hat, der einzige, dem es in dem für die öſterreichiſchen Waffen ſo unglücklichen böhmiſchen Feldzuge des Jahres 1866 gelang, einen bedeutenden Vortheil über die Gegner davon zu tragen. Daß derſelbe nur vorübergehende Bedeutung hatte, war nicht ſeine Schuld. Die Ueberraſchung, welche der Rücktritt des Freiherrn v. Gablenz hervorrief, war noch größer als die durch das Ausſchei den des Grafen Beuſt vom Reichskanzlerpoſten bereitete, weil das Ereigniß in ſeiner Geneſis noch viel räthſelhafter iſt. Wie bei dem Grafen Beuſt waren es bei dem Freiherrn v. Gablenz Ge ſundheitsrückſichten, welche die officielle Motivirung der Entlaſſung bildeten. Daß dies aber der reelle Grund geweſen ſei, daran glaubte die öffentliche Meinung bei dem Letzteren noch weniger, wenn er auch nicht, wie Graf Beuſt es gethan haben ſoll, am Tage, wo die „Wiener Zeitung“ die Nachricht ſeiner Entlaſſung brachte, einen mehrſtündigen Spazierritt bei rauhem Wind und Wetter unternahm. Frhr. von Gablenz ſteht erſt in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre, iſt körperlich eine der rüſtigſten und impoſanteſten Erſcheinungen und der Beinbruch, welchen er vor mehreren Jahren infolge eines Sturzes mit dem Pferde in Agram davontrug, iſt längſt definitiv geheilt. Dazu war der Poſten, welchen der General zuletzt bekleidete – die Stellung des commandirenden Generals in Ungarn – ſeit dem Ausgleich ein ſo angenehmer und müheloſer, daß aus ihm reſultirende Schwierigkeiten nimmermehr die Urſache des Rücktritts ſein konnten. Ueberdies wäre auch damit immer noch nicht das gänz liche Ausſcheiden aus der activen Armee motivirt. Einen Augen blick ſchien es, als läge dem Ereigniß eine tiefangelegte Combi nation zum Grunde; Frhr. v. Gablenz ſollte zu hohen Dingen im diplomatiſchen Dienſte auserſehen ſein; man ſprach vom Bot ſchafterpoſten in Paris, von der Stelle des Internuntius in Konſtantinopel als für ihn beſtimmt. Die techniſche Befähigung hätte er wol mitgebracht, ſeine bisherige dienſtliche Laufbahn bot ihm mehrmals Gelegenheit, diplomatiſche Talente zu bewähren. Inzwiſchen iſt aber der Botſchafterpoſten in Paris längſt wieder beſetzt und für Konſtantinopel wird die erwählte Perſon ſeit Wochen mit ſo einmüthiger Beſtimmtheit genannt, daß jene Com bination wol fallen gelaſſen werden muß. Man wird ſich viel mehr in die Thatſache finden müſſen, daß Oeſterreich den zweitbeſten ſeiner Heerführer, den einzigen, der ſich im böhmiſchen Feldzuge den preußiſchen Generalen ebenbürtig erwies, gehen ließ oder – hieß mitten in der Blüthe der Jahre, geſund und friſch, nur um zwei Jahre höher im Lebensalter ſtehend, als der jüngſte der preußiſchen commandirenden Generale. Die Thatſache mag ein unerklärliches Räthſel ſein, aber ſie iſt unabänderlich. Der Umſtand, daß das militairiſche Wirken des Freiherrn v. Gablenz mit ſeinem Ausſcheiden abgeſchloſſen vor uns liegt, mag es rechtfertigen, wenn auch an dieſer Stelle ein Rückblick auf daſſelbe unter Benutzung einer längeren biographiſchen Skizze, welche die Augsburger „Allgemeine Zeitung“ vor einigen Wochen über den General brachte, geworfen wird. Einer beſonderen Recht fertigung dafür wird es kaum bedürfen. Iſt General Gablenz' Name ja doch mit einer ächt deutſchen Sache, der Befreiung der Elbherzogthümer, auf das Glänzendſte verknüpft und ſteht er Sachſen doch außerdem noch beſonders nahe als einer der tüchtig ſteu Söhne dieſes Landes. Frhr. v. Gablenz, am 19. Juli 1814 in Jena geboren, ge hört einer ſächſiſchen Familie an; der Vater ſtarb 1843 als ſäch ſiſcher Generallieutenant und Gouverneur von Dresden. Der vielbegabte Knabe wurde in dem Cadettenhauſe in Dresden er zogen, und gab ſich früh den militairiſchen Studien hin. Der Wunſch, einer größeren Armee anzugehören, ließ ihn ſchon 1833 aus der ſächſiſchen in die öſterreichiſche Armee eintreten. Bereits in den erſten Jahren erlernte der junge Officier den Dienſt bei allen Waffen und auch im Generalſtab, und oft hörte man ihn äußern: wie ſehr die großen italieniſchen Manöver unter Mar ſchall Radetzky 1835 bis 1839 ſein militairiſches Wiſſen erweitert hätten. Seinem lebhaften Drange nach allſeitiger geiſtiger Aus bildung und praktiſcher Lebenskenntniß folgend, benutzte er die Zeit friedlicher Ruhe zu ausgedehnten Reiſen, wobei ihm ſeine Sprachkenntniſſe die beſten Dienſte leiſteten. Außer England, Frankreich, Holland, Belgien, Deutſchland und der Schweiz beſuchte er auch an der Seite einer engliſchen Reiſegeſellſchaft die Nil Länder. Rechnet man hierzu ſeinen langen Aufenthalt in Italien und den Ländern des Orients, ſowie in den Elbherzogthümern und Jütland, ferner einen vorübergehenden Beſuch in Rußland, ſo wird man begreifen, daß ſo mannichfache Reiſen und vielfältige Berührungen mit ausgezeichneten Perſönlichkeiten den Lebensan ſchauungen des ſtrebſamen Mannes eine Vielſeitigkeit und Klar heit verliehen, wie ſie nur in ſolcher Schule des Lebens erworben werden können. Als Oberlieutenant im 18. Infanterieregiment, Graf Lilien berg, in Mailand ſtehend, fiel ſchon früh der Blick des Grafen Wallmoden auf den jungen Officier. Seine Begabung und ſeine edelmänniſchen Formen würdigend, theilte Graf Wallmoden denſelben ſich ſelbſt als Attaché zu, als er zur Krönung des Kaiſers Ferdinand ſich begab, welche bekanntlich mit großer Pracht ins Werk geſetzt wurde. Bald darauf, im September 1839, ernannte ihn der General der Cavallerie, Graf Wallmoden, zum Rittmei ſter in ſeinem Küraſſierregiment. Als Cadet-Gemeiner war Gablenz 1833 in die öſterreichiſche Armee eingetreten, und ſechs Jahre ſpäter wurde er Rittmeiſter – ein für die damaligen Zeitverhältniſſe und für einen protectionsloſen Ausländer ganz ungewöhnliches Avancement. Es kam bald die Zeit, wo Oeſterreich ſich in ein großes Heerlager verwandelte, das dem thatendurſtigen Officier reiche Gelegenheit zur Auszeichnung bot. Während des italieniſchen Feldzuges 1848 zum Generalſtab verſetzt und ſpäter zum Major ernannt, hatte er unter Radetzky's genialer Führung die beſte Gelegenheit, ſeine glänzenden militairiſchen Eigenſchaften zu be