Straubinger Tagblatt. Dieſes Blatt erſcheint täglich mit Aus nahme der Sonn- und Feiertage und koſtet einſchlüßig des Unterhaltungs blattes in ganz Bayern vierteljährig 45 kr. Nr. Freitag, Neunter Jahrgang. (Nikolaus v. Tol.) Inſerate finden hier und auswärts entſprechende Verbreitung u. koſtet der 10. Sept. 1869. Raum der 3ſpaltigen Zeile nur 2 tr Das Unterhaltungsblatt wird an Sonntagen ausgegeben. 207. Der ſittliche Buſtand Norddeutſchlands. II. „Selbſtverſtändlich iſt es,“ fährt die Denkſchrift fort, „daß der von Berlin ausgehende Einfluß am Direkteſten die ihm zunächſt liegenden ländlichen Gebiete, ſowie die durch Eiſenbahnen mit ihm verbundenen Städte berührt, unter denen im Beſonderen Potsdam, Brandenburg und Frankfurt a/O. zu nennen ſind. „Eine beunruhigende Höhe haben die Schäden der Pro ſtitution in Magdeburg erreicht, wo die Ungunſt der verſchiedenartigſten Einflüſſe verhängnißvoll zuſammenwirkt. Die ganze Stadt in allen ihren Straßen birgt Dirnen und Kupplerinen mitten in der Bevölkerung. Ohne daß privi legirte Bordelle exiſtirten, zählt Magdeburg doch 58 Häuſer, die der Proſtitution notoriſch dienen. Außerdem treibt eine ſehr große Zahl von Kupplerinen dort ihr Weſen, die mit ihren Dienſten namentlich der wohlhabenderen Bevölkerung zur Verfügung ſtehen. Daß der Menſchenhandel nach aus wärtigen, namentlich Hamburger Bordellen von dort aus lebhaft betrieben wird, iſt unzweifelhaft. Von weithin wir kendem Einfluße ſind überdieß die ſehr zahlreichen Schank lokale verſchiedenen Ranges, die durch proſtituirte Kellnerinen das Publikum anlocken. Die Zahl der bei der Polizeibehörde als Proſtituirte bekannten Frauenzimmer beträgt circa 2000. Im Jahre 1868 ſind 7500 Krankheitsfälle ſchlechter Art in Magdeburg vorgekommen. „Nicht minder beunruhigend iſt die Lage der Dinge in Poſen. In Stettin iſt eine entſchiedene Steigerung der Proſtitution beobachtet. Die Zahl der Proſtituirten ſtieg im Jahre 1866 bis jetzt von 222 auf 403, alſo faſt auf das Doppelte, während eine zweifach ſo große Zahl von notoriſchen Proſtituirten ſich außerhalb der Kontrole befindet. „In Breslau betrug die Zahl der Proſtituirten Ende 1868 im Ganzen 1088. Die Habgier von Hausbeſitzern gibt der Kuppelei und Proſtitution eine Stütze, gegen welche die Behörde machtlos iſt. hindern, daß eine Menge von heruntergekommenen Perſonen, welche die Conceſſion zum Betrieb von Schankwirthſchaften erhalten haben, durch das Engagement lüderiicher Perſonen als Schänkerinen, durch Sängerinen, die meiſt derſelben Kategorie angehören, durch Einrichtung von geheimen Zim mern :c. das Publikum anlocken und der Proſtitution Vor ſchub leiſten. - „Danzig zählt die verhältnißmäßig ſehr große Zahl von circa 850 unter polizeilicher Kontrole ſtehenden Frauen zimmern, mit denen ſelbſtverſtändlich der Kreis der Proſti tuirten ſich keineswegs abſchließt. Von Memel erwähnen wir nur, daß daſelbſt bei einer Zahl von 19,000 Einwoh nern 254 unter Kontrole ſtehende Frauenzimmer gezählt werden. Sehr ſchlimm iſt der Stand der Dinge in Königs berg. Die Lüderlichkeit treibt dort in ſo ſchamloſer Weiſe Ebenſowenig vermag ſie zu ver auf offener Straße ihr Unweſen, daß das Publikum ſich von ihr auf das Empfindlichſte beläſtigt ſieht. Die Zahl der unter Kontrole ſtehenden, reſp. der Behörde bekanntent Proſtituirten beträgt 800. Von 1866 bis 1868 hat die Zahl der von der Polizei verwarnten Frauenzimmer ſich mehr als verdoppelt. Bezeichnend iſt, daß bei einer im Oktober v. J. ſtattgefundenen Reviſion des Krankenhauſes unter 172 Kranken 84 Syphilitiſche ſich befanden. In welchem Maße die Schande bereits wagen darf, auf bürger liche Berechtigung Anſpruch zu machen, mag daraus her vorgehen, daß die Inhaber ſchlechter Wirthſchaften in Flens burg es wagen, im dortigen Adreßkalender rückhaltslos als „Bordellwirthe“ ſich zu präſentiren. „In Leipzig beſtehen 52 Bordelle mit 238 Inſcribirten, während außerdem noch 356 Perſonen als der Proſtitution verdächtig der Behörde bekannt ſind. Die Zahl derſelben vermehrt ſich zur Zeit der Meſſen durch Zuzug von Aus wärts um ein Bedeutendes. „Vom tiefgreifendſten Einfluß iſt Hamburg. Die Geſammtzahl ſeiner Bordelle beträgt 189 und es befinden ſich in denſelben jederzeit nicht weniger als 1100 eingeſchrie bene Frauenzimmer. Es iſt unerläßlich, zugleich auf die Schmach des Menſchenhandels hinzuweiſen, der mit dem Bordellweſen aufs Engſte verknüpft iſt. Es beſteht, durch ganz Deutſchland gehend und über die Grenzen des ſelben weit hinausreichend, ein Handel mit Frauen, die, von Kupplern und Kupplerinen verlockt, um hohe Preiſe in die Hände der Bordellwirthe geliefert werden. Männliche und weibliche Agenten der Bordellwirthe durchziehen hinter der Maske anderer Gewerbe und nicht ſelten unter falſchen Namen Deutſchland, um ihre Opfer fortzuſchleppen. In den Händen der Wirthe ſind dieſe alsbald in einer Skla verei, deren Ketten kaum je wieder gebrochen werden können. Es iſt kein Zweifel, daß die hier angedeutete Schmach die jenige noch weit überſteigt, welche als Sklavenhandel längſt gerichtet und unter Cukturvölkern überwunden iſt.“ So die Denkſchrift; wir aber richten an die geſammte liberale Preſſe die allerdringendſte Bitte, doch ja ihren großen Einfluß auf die Bildung der öffentlichen Meinung dahin zu benutzen, daß ſolch greuliche Zuſtände ein Ende nehmen, und jene Brutſtätten des Laſters und Höhlen der Unſittlichkeit mitſammt ihrem peſtilenzialiſchen Inhalt von dem Erdboden verſchwinden. Nur die Hälfte der „ſittlichen Entrüſtung,“ die man bei dem jetzigen Kloſterſturm auf der ganzen libe ralen Linie in Scene ſetzt, wird genügen, um bedeutende Erfolge zu erzielen. D e u t ſ ch l an d. Bayern. ** München, 7. Sept. Ihre Majeſtät die Königin - Mutter iſt auf der Rückreiſe nach Hohenſchwangau geſtern Mittag 1 Uhr mittels Extrazugs in Starnberg