25 Beschreibung des am 6. December 1866 dem Ingenieur Heinrich Gerber verliehenen Patentes auf Balkenträger mit freiliegenden Stützpunkten. *) Mit Abbildungen auf Blatt VI. 1) Die bekannten, continuirlich über mehrere Pfeiler durch laufenden Balkenträger lassen eine Bestimmung der inneren Spannungskräfte nur mittelbar durch die Theorie der elasti schen Linie zu, indem aus dieser bei fixer Höhenlage der Stütz punkte auf den Pfeilern die Auflagerreactionen hergeleitet wer den. Bei jeder Veränderung dieser Höhenlage werden wesent lich die Auflagerreactionen und damit auch die inneren Spannun gen geändert, so dass eine für den Bestand des Pfeilers un bedeutende Senkung desselben die Tragkraft des Trägers auf Null herabbringen kann. - Die Berechnung der Spannungen selbst ist bei jenen con tinuirlichen Trägern eine schwierige und sehr weitläufige Ar beit, sobald die Gewichte der Construction selbst nicht mehr als gleichförmig gross angenommen werden können. Es wird daher nur in wenigen Fällen die Stabilitätsberechnung so sichere Resultate geben, wie diess bei getrennten (nur je eine Oeff nung überdeckenden) Balkenträgern der Fall ist, und begnügt man sich mit Zugaben in den Querschnitten, deren Grössen mehr oder weniger willkürlich sind. 2) Diese Uebelstände werden durch die neue Anordnung von Balkenträgern mit freiliegenden Stützpunkten Vermieden. Denkt man sich nämlich einen zwischen zwei Pfei lern liegenden Balken über diese Pfeiler hinaus um eine be stimmte Grösse verlängert, so kann der Endpunkt jeder Ver längerung als Stützpunkt für einen weiteren (freien) Balken dienen, dessen zweites Ende entweder auf einem Pfeiler, oder Wie das erste, auf der Verlängerung (dem Stützbalken) eines Balkens in einer dritten Oeffnung gestützt ist. Der an beiden Enden gestützte freie Balken ist nun in Berechnung und Construction wie ein einfacher Träger zu behandeln, da er mit dem Stützbalken (oder Pfeiler) nur durch einen Punkt verbunden sein soll; der über seinen Pfeiler verlängerte Bal ken hat an seinen Enden die Auflagerkräfte der anliegenden freien Balken, welche aus der Belastung ohne Weiteres gege *) Bemerkung der Redaction. Dem polytechnischen Vereine dahier stand bisher ausschliess lich das Recht zu, die Beschreibungen erloschener Patente in seinem Organe zu veröffentlichen. Auf Veranlassung der Re daction wurde an massgebender Stelle darum nachgesucht, dass die Beschreibungen erloschener Patente, welche ihres specifisch bautechnischen Betreffes wegen sich mehr zur Veröffentlichung in der Zeitschrift des bayerischen Architekten- und Ingenieur Vereins als in der des polytechnischen Vereins eignen, in er sterer mitgetheilt werden dürfen. Von Seite des k. Staatsmi nisteriums des Handels und der öffentlichen Arbeiten wurde auf Ansuchen des Ausschusses des polytechnischen Vereins unterm 14. März d. Js. die Genehmigung hiezu bereitwilligst ertheilt, in Folge welcher die Redaction obige Patentbeschrei bung hiemit veröffentlicht. ben sind, und seine eigene Belastung zu tragen, und wirken diesen Kräften nur die zwei Pfeilerreactionen entgegen, die somit aus den allgemeinen Gleichgewichtsbedingungen ohne jede Beachtung der Biegung vollkommen sicher und einfach be stimmt werden können. Ebenso sind nun die inneren Spannun gen dieses Balkens leicht und mit derselben Sicherheit, wie die des einfachen Balkens, zu berechnen. 3) Da nach dem eben Entwickelten die Pfeilerreactionen durchaus nicht von der Biegung, sondern nur von der Grösse und Vertheilung der Belastung abhängig sind, so kann auch die Senkung eines Pfeilers keinen Einfluss auf die inneren Spannungen der Träger ausüben; es würde diese Senkung nur eine Veränderung der Höhenlage der nächstliegenden Balken träger hervorbringen. 4) Aus der Anordnung der Balkenträger mit freiliegenden Stützpunkten ergibt sich, dass immer auf eine Oeffnung mit freiem Balken eine solche mit durchlaufendem (steifem) Trä ger folgen muss; eine Aneinanderreihung von Balkenträgern der ersteren Art, mit Stützbalken an beiden Seiten jedes Pfei lers, würde für ungleichförmige bewegliche Last kein Gleich gewicht gestatten. 5) Die Beziehungen zwischen der Grösse der freien Bal ken und den Oeffnungsweiten müssen nach den Speciellen Ver hältnissen der einzelnen Objecte gewählt werden; man kann, wie bei den continuirlichen Balken durch Hebung und Senkung der Pfeilerstützen, hier durch geeignete Bestimmung der Lage der freiliegenden Stützpunkte die Grösse der Momente der in neren Kräfte in den Verticalschnitten verändern und den jeweils vorliegenden Forderungen anpassen. Es kann unter gewissen Bedingungen sogar zweckmässig sein, die Länge des freien Balkens Null zu machen, und somit die Stützbalken unmittel bar aneinander zu stossen. Ist die Lage und Anzahl der Pfeiler unbestimmt, so kann man dieselben so fixiren, dass die Gesammtkosten der Träger und Pfeiler ein Minimum werden. Mittelst dieser Träger ist es möglich, hohe eiserne Pfeiler mit einander durch den zwischenliegenden steifen Balken kräftig zu verbinden, indem man die wegen der Temperaturveränder ung nöthige Beweglichkeit in einen der freien Stützpunkte legt. Man hat dann für die Details der Befestigung der Träger am Pfeiler nur die für eine Oeffnung nothwendige Ausdehnung in Betracht zu ziehen. 6) Auf anliegender Tafel gibt Fig. 1 die Momente für 5 Oeffnungen graphisch dargestellt (zugleich das Schema für eine beliebige Anzahl von Oeffnungen); den Ordinaten der schraffir ten Fläche proportional sind die Querschnitte für Träger von constanter Höhe zu construiren, oder für Träger von Constan tem Gurtungsquerschnitt, entsprechend dem Principe des Pauli schen Systems, die Normalabstände der Gurtungen von der geometrischen Achse zu nehmen. – Es ergeben sich hieraus nicht unbeträchtliche Materialverminderungen gegen den Con tinuirlichen Balken, so dass in Verbindung mit der grösseren Sicherheit und Bequemlichkeit der Ausführung die Anwendung der Balkenträger mit freiliegenden Stützpunkten in manchen Fällen von Vortheil sein wird. 4