1641 1642 H. A. Varnhagen v. Ense, Preuſsische biograph. Denkmale. kam daher, daſs der Russische Feldherr in ihm immer und überall noch den Löwen fürchtete, und daſs er, nicht das Allergeringste aufs Spiel setzend, nur mit mit telmäſsigen Resultaten zufrieden war. Wenn man bei der Augenscheinlichkeit der Folgen im Kriege oft immer wieder denselben Fehler begehen sieht, so kommt dieſs daher, weil hier nicht bloſs Ver standescombination sondern auch moralische Kräfte in Betracht kommen; und weil die Maſsregeln und Ent würfe des Feindes immer in einem Halbdunkel liegen, welches aufzuerklären nur reich begabten Naturen ver liehen ist. Im Kriege ist selten Etwas gewiſs, Alles nur wahrscheinlich; auf Wahrscheinlichkeit sollen sich die Berechnungen stützen, und der Zufall als eine Macht anerkannt werden. Was gehört aber für ein Scharfblick dazu, die vorhandenen Wahrscheinlichkeiten aufzufinden, und welche Ruhe des Gemüths und welche Unbefangen heit des Urtheils sind nöthig allen in der Berechnung aufzunehmenden Gröſsen ihren wahren Werth zu geben, und nicht hier oder dort, wie irgend eine Leidenschaft lichkeit uns gerade stimmt, einen falschen Accent hin zulegen! Wenn aber diejenigen, die über Kriegsge schichte schreiben, von der Wahrheit dieser Beobach tungen durchdrungen wären, so würden wir genauere Erzählungen und vorsichtigere Beurtheilungen der Be gebenheiten haben. Wie manchem schulgerechten Kri tiker würde dieser oder jener Feldherr sagen: was du jezt weiſst, das wuſste ich damals nicht, und was du voraussetzest, das sezte ich nicht voraus. – - von Pfuel. LXXXIII. Preuſsische biographische Denkmale. Zweiter Theil (oder : Biographische Denkmale, drit ter Theil). Von H. A. Varnhagen von Ense. Berlin 1826, bei G. Reimer. Fürst Blücher von Wahlstadt (617 S. in 8. Text. 14 S. Vorrede und Nachweisung der ge brauchten Hülfsmittel.) „Ich muſs bei Blüchers Lebensbeschreibung“ (so be ginnt das Vorwort des Verfassers) „dieselbe Nachsicht „ansprechen, wie bei der des alten Dessauer's, ja in „Hintergrund „manchem Betracht noch gröſsere, da der entschiede „nere Bezug auf die Gegenwart den Stoff nur um so „schwieriger zu behandeln gab. Der Ausdruck ist hier „oft mit dem Stoffe hart im Streite gewesen, damit we „der die Energie mancher Auftritte und Aeuſserungen, „noch die Schicklichkeit des Vortrags aufgegeben wurde. „Einige heitere Züge, die eingeflochten sind, wird man „nicht zu streng nehmen; von manchen Geschichtchen ist „wenigstens das wahr, daſs sie allgemein erzählt und „für glaubwürdig gehalten werden, mögen diejenigen „Zeugen, welchen hier Bejahung und Verneinung zusteht, „sich darüber vernehmen lassen. Ich war wenigstens „redlich bemüht, mich überall der erkennbaren VVahr „heit anzuschlieſsen, und ihre Farben so aufzutragen, „daſs in der Folge nach Maſsgabe des Zeitverlaufs, weil „allerdings Manches im jetzigen Augenblicke nicht völ „lig auszudrücken war, einige Striche nur vielleicht ver \. „stärkt, keineswegs aber in ihrem Grunde verändert „zu werden brauchen. VWenn es Vielen dünken möchte, „es sei überhaupt noch zu früh, eine Lebensbeschrei „bung Blüchers erscheinen zu lassen, so darf ich doch „versichern, daſs es zugleich schon hohe Zeit war, sie „niederzuschreiben; denn nicht lange erhält sich in un „seren Tagen ein Ereigniſs als Gegenwart, sondern mit „ungewöhnlicher Geschwindigkeit drängt die Fluth der „neuesten Vorgänge stets das Kaumgesehene in den einer schon entlegenen Vergangenheit. „Da gilt es eilig zu seyn, um so viele bald unwieder „bringlich verlorene Züge des Lebens, Eigenthümlich „keiten der Gestalt, der Farbe, der Bedeutung, aufzu „fassen und festzuhalten. Ein Zwischenraum von zehn „Jahren macht bei Betrachtung dieser Gegenstände oft „schon eine kaum noch recht unterscheidbare Ferne. „Wäre mir gelungen, den Kenner zu dem Ausspruche „zu bewegen, daſs die allerdings nicht leichte Aufgabe „in den Bedingungen der Gegenwart ein Leben Blü „chers, auch den Anforderungen der Zukunft gemäſs, „zu schreiben, durch dieses Buch wenigstens annähernd „gelöst worden, so würde dasselbe hinreichend gerecht „fertigt seyn.“ Der Ansicht, welche in diesen einfachen Worten ausgesprochen ist, in der Hauptsache beipflichtend, könn ten wir die Beurtheilung des Buches füglich auf die Versicherung beschränken, daſs der Verfasser die sich selbst gesezte Aufgabe im Wesentlichen eben so rich tig erkannt habe, als es ihm gelungen ist, sie auf eine