Die Berliner Klinische Wochenschrift erscheint jeden Montag in der Stärke von 1-1 Bogen gr . 4. Preis vierteljährlich 12 Thlr . Bestellungen nehmen alle Buch handlungen und Post - Anstalten an . BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT . Organ für practische Aerzte . Mit Berücksichtigung der preussischen Medicinalverwaltung und Medicinalgesetzgebung nach amtlichen Mittheilungen . Redacteur : Sanitätsrath Dr. L. Posner . Verlag von August Hirschwald in Berlin . Montag , den 1. Januar 1866 . № 1 . Dritter Jahrgang . Inhalt : I. Martin : Aus der geburtshülflichen Klinik der Universität zu Berlin . II . Niedner : Ein Fall von Wurstvergiftung . III . Refe rate ( Zur chirurgischen Klinik - Zur Heilmittellehre ) . IV . Tagesgeschichtliche Notizen Zur Heilmittellehre ) . IV . Tagesgeschichtliche Notizen V. Amtliche Mittheilungen . Inserate . I. Aus der geburtshülflichen Klinik der Universität zu Berlin . Heilsamer Erfolg der Seitenlage bei Behandlung der Geburten mit vorangehendem Schädel durch rhachitisch - verengte Becken . Von Ed . Martin , Geh . Medicinal - Rath und Professor . Die Therapie der durch Beckenenge bedingten Geburtsstö rungen wird erst dann sichere Grundlagen bekommen , wenn die methodische Beckenmessung und dadurch ermöglichte genaue Beurtheilung der Gestalt des fehlerhaften Beckens allgemeiner angewendet wird . Eine solche methodische Beckenmessung , wie sie seit mehr als 5 Jahren an allen Kreissenden der von mir geleiteten geburtshülflichen stationären Klinik vorgenommen wird , muss ausser dem Beckenumfange ebensowohl die Conju gata diagonalis und externa , als auch die Entfernung der Spinae Ilium , der Crista e Ilium , der Trochanteren und die schrägen Durchmesser des grossen Beckens umfas Dass für gewisse Formen fehlerhafter Becken auch noch andere Messungen vorzunehmen sind , bedarf keiner weiteren Ausführung . Hier soll allein von einigen Formen der durch Rhachitis verunstalteten Becken die Rede sein . sen . ―― Hat man dabei zunächst sichergestellt , dass es sich um eine mittlere Verkürzung des geraden Durchmessers des Beckenein ganges ( zwischen 7 und 9,5 Centimeter ) handelt , so kommt es weiter darauf an , zu ermitteln , ob der Querdurchmesser des Beckeneinganges die gewöhnliche Grösse und mehr zeigt , oder erheblich darunter beträgt . Auf die gewöhnliche Grösse dieses Durchmessers darf man rechnen , wenn beim leben den Weibe die Sp . II . 25 Cm . und mehr und die Cr . Il . nicht darunter messen . Für die Therapie der durch diese Becken enge bedingten Geburtsstörungen bei einer in Schädellage sich einstellenden ausgetragenen Frucht kommt es aber , abgesehen von anderen Complicationen , z . B. Wehenfehlern , Vorfall der Nabelschnur u . s . w . , ferner darauf an , zu ermitteln , ob das Promontorium nach der einen Seite verschoben ist , vielleicht auch die entsprechende Pfanne in das Becken hineingedrängt ist oder nicht . Hierüber giebt theils die sorgfältige innere Ex ploration mit zwei Fingern , theils die Messung und Vergleichung der beiden schrägen Durchmesser des grossen Beckens Auf schluss . Einsendungen und Beiträge wolle man portofrei an die Redaction ( Kommandantenstr . 5a ) oder an die Ver lagsbuchhandlung von August Hirschwald in Berlin ( Unter den Linden 68 ) richten . Ist das Promontorium nach der einen Seite gescho ben , der Beckeneingang also in dieser Hälfte enger als in der andern , so hängt die Prognose und die Behandlung der eintreten den Geburtszögerung bei ausgetragener lebender Frucht , abgesehen - von der Grösse des räumlichen Missverhältnisses und den etwaigen Complicationen , wesentlich davon ab , in welcher Weise sich der Schädel in den Beckeneingang einstellt . Rückt derselbe mit dem breiteren Hinterhaupt in der weiteren Becken hälfte herab , so kann die Geburt unter sonst günstigen Verhält nissen leicht und glücklich verlaufen , indem dabei der kleinere vordere Querdurchmesser des Kindesschädels , der nach zahlrei chen Messungen * ) nicht allein 1—1½ Cm . weniger beträgt als der hintere Querdurchmesser , sondern auch nachgiebigere End punkte besitzt , ohne grosse Schwierigkeit durch eine Conjugata von 7 von 7-8 Cm . hindurchgepresst wird . In diesen Fällen zeigt sich die Lagerung der Kreissenden auf diejenige Seite , nach welcher die Stirn der Frucht gerichtet ist , wie mich die Erfah rung mehrfach belehrt hat , oft heilsam , indem dabei zufolge des Herübersinkens des Fundus uteri und des Steisses der Frucht das Hinterhaupt mittelst der Wirbelsäule nach der entge gengesetzten Seite , also in die weitere Beckenhälfte gedrängt wird , so dass der kürzere vordere Querdurchmesser in die enge Conjugata gelangt . Findet sich dagegen das Hinterhaupt über derjenigen vor wiegend verengten Beckenhälfte , nach welcher das Promonto rium hingeschoben ist , so bleibt bei irgend erheblichem Miss verhältniss als das einzige Rettungsmittel des Kindes die Wen dung auf den Fuss , wenn dieselbe in der Art ausgeführt wird , dass der nachfolgende Kopf mit dem Hinterhaupt in der weiteren Beckenhälfte herabrückt . Ueber diese Fälle habe ich bereits 1860 , Monatsschr . f . Geburtsk . Bd . XV . S. 16 ff . , sowie auf der Versammlung der Naturforscher zu Hannover im Sep tember v . J. gesprochen . Heute bietet mir ein vor wenig Tagen in der geburtshülf lichen Klinik zur Beobachtung gekommener Fall die Gelegen heit , den Nutzen der Seitenlage für diejenigen Formen rhachitischer Beckenenge mittleren Grades mit hin länglich grossem Querdurchmesser zu erläutern , in wel chem das Promontorium nicht oder nicht nachweislich nach der einen Seite geschoben ist . Der Fall ist folgender . J. G. , 32 Jahre alt , Erstgebärende aus Schlesien , 147 Cm . gross , erinnerte sich keiner Kinderkrankheit und war mit 19 Jahr menstruirt worden . Die Regel war seit dem 20. Januar 1865 ausgeblieben , und die Fruchtbewegungen zuerst Anfang Juni bemerkt . Die Wehen begannen in der Nacht vom 1. zum * ) S. E. Martin , über 23 künstliche Frühgeburten in Monats schrift f . Geburtsk . Bd . XIX . S. 76 ff . 1